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Das Knie der Freiheit (aus der China Morning Post)

LiNa

Aus dem Chinesischen übersetzt. Ein Artikel der China Morning Post, Oktober 2014.

 


Die fast märchenhafte Allianz zwischen Tennis-Weltstar Li Na und dem Münchner Kniespezialisten Dr. Erich Rembeck


Manchmal ist eine Knieoperation nicht nur ein medizinisch notwendiger Eingriff, manchmal, selten genug, auch ein Akt der Befreiung. Der 31. März 2008, Punkt 8 Uhr, markiert für die chinesische Tennisspielerin Li Na, 32, ein solch denkwürdiges Momentum, an dem nicht nur ihre körperlichen Beschwerden ernst genommen wurden, sondern vor allem ihr Wunsch nach Unabhängigkeit, nach einem selbstbestimmten Leben. Selten hat eine Spitzensportlerin in der Welt sich das Recht auf freie Arztwahl, die es in China für Volkshelden bis heute nicht gibt, so erkämpft wie die zweifache Grand Slam-Siegerin aus Wuhan, die im September ihre Karriere nach 15 Jahren auf der Profitour beendete. „Die Voraussetzung, dass wir ein so besonderes Verhältnis zueinander entwickeln konnten, war diese Geschichte, dass Li Na der erste chinesische Star überhaupt war, der sich das Recht herausgenommen und durchgesetzt hat, sich im Ausland operieren und behandeln zu lassen. Diesen Mut hatte vor ihr keiner und wir haben Sie darin unterstützt“, erinnert sich Dr. Erich Rembeck, 56, an die vielleicht ungewöhnlichste Patientin seiner Karriere.

 

Als Li Na das erste Mal zu ihm kam, war völlig unklar, ob sie jemals die hochgesteckten Erwartungen der chinesischen Funktionäre aufgrund Ihrer Verletzungsanfälligkeit erfüllen würde können. Als Li Na jetzt zurücktrat, sprach Stacey Allaster, Chefin der Frauentennistour, sporthistorische Sätze. „Kein Zweifel, Li Na hat in dieser Dekade den größten Einfluss auf die Entwicklung des Frauentennis gehabt“. Sie sei „unsere Billie Jean King“. Die Amerikanerin wurde in den 60er Jahren berühmt für ihren Kampf um die Gleichstellung von Mann und Frau im internationalen Spitzensport. Li Na wird heute in China wie eine Ikone verehrt, sie persönlich hat im gesamten asiatischen Raum einen Tennisboom losgetreten, der sie zum Weltstar und zur zweitreichsten Sportlerin der Welt machte. Sie war auf dem Titel des „Time“-Magazine, sie wird zu den 100 einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt gezählt, 300 Mio. Chinesen sahen Ihren Erfolg bei den French Open 2011 und trotzdem ist sie eine bescheidene, schüchterne, ja geheimnisvolle junge Frau geblieben, die sich alles erarbeiten musste und alles hart erarbeitet hat. „Es gibt keine andere Athletin, die je bei uns operiert wurde, die so zuverlässig all das umgesetzt hat, was man ihr gesagt hat“, kennt ihr Arzt, der Münchner Knie- und Reha-Spezialist Erich Rembeck eines von Li Na’s Geheimnissen.

 

Erich Rembeck und Li Na lernten sich 2007 kennen. Ihr Trainer, der Schwede Thomas Hogstedt, ein Bekannter Rembecks, schickte Li Na wegen einer Rippenverletzung nach München, nach vierzehn Tagen war die Verletzung auskuriert und die Wege trennten sich wieder. Als sich Li Na bei den Australian Open im Januar 2008 erstmals ernsthaft am rechten Knie verletzt, erinnert sie sich an ihren „german doctor“ in München. Als auch der Turnierarzt in Australien sie darin bestärkt, dass es gerade in Deutschland die beste Kombination aus Operation und Reha gebe, fragt Li Na bei Rembeck an, ob sie ihm einmal ihr lädiertes Knie zeigen dürfe. Anfang März 2008 kommt Li Na nach München und Rembeck diagnostiziert schnell einen „ernsthaften Knorpelschaden“ im rechten Knie. Noch in den 80er oder 90er Jahren war eine derartige Diagnose das sichere Karriereende für einen Spitzensportler und auch diesmal „waren wir uns nicht sicher, ob sie überhaupt weiterspielen konnte“, erinnert sich der Orthopäde, der viele Jahre Teamarzt der Fußballer des TSV 1860 München und des deutschen Daviscup-Teams war. In einem Anflug von Galgenhumor rät ihr Rembeck, falls sie noch einen größeren Sponsorenvertrag unterschreiben sollte, solle sie sich das Geld zu Beginn auf einen Schlag auszahlen lassen, man wisse ja nie. In jedem Fall: Rembeck rät der kampfstarken Grundlinienspielerinnen zu einer sofortigen Operation. Die chinesische Verbandsführung sieht das anders. Li Na ist in Peking auf Olympia-Gold programmiert, fünf Monate vor den Spielen wolle man kein Risiko eingehen, dass sie die Spiele womöglich verpassen könnte und empfiehlt eine konservative Behandlung. Erich Rembeck kann Li Na trotz des Drucks von oben überzeugen. Am Morgen wenige Minuten vor der Operation, Li Na liegt im Vorraum des Operationssaals und hat bereits eine Beruhigungstablette zur Vorbereitung der Anästhesie geschluckt, bekommt sie einen dringenden Anruf aus China. Als sie auflegt sagt sie immer noch leicht benommen: „I can not do this operation“. Eine Stunde später reist die mit einer Valium betäubte Li Na Richtung China wieder ab mit dem Hinweis, sie bräuchte noch einen Stempel mit der nötigen Erlaubnis, sonst könne sie sich nicht operieren lassen. Aus Angst vor einer verpassten Olympia-Medaille wollte der Verband die beste Tennisspielerin des Landes zwingen, auf die Operation zu verzichten. Als Li Na etwa eine Woche später von Rembeck wissen will, was er zu einer konservativen Therapie ohne OP sagt und er ihr davon dringend abrät, besteht sie endgültig auf die Freigabe für die Operation am 31. März 2008, Punkt 8 Uhr in München. Ein für chinesische Verhältnisse ungeheuerlicher Akt des persönlichen Ungehorsams. Rembeck sagt heute im Rückblick, dass seine Patientin mit einer konservativen Behandlung nicht mehr auf die Beine gekommen wäre und Olympia mit großer Sicherheit verpasst hätte. „Sie hat bei uns nie Spritzen gegen die Schmerzen oder Cortison-Spritzen bekommen, dass hätte ihr das Knie zerrissen. Eine OP mit anschließender Intensiv-Reha war unumgänglich.“ Die Verbandsfunktionäre forderten von Dr. Rembeck einen detaillierten Langzeitplan, wann genau Li Na wieder mit dem Training beginnen könne, wann genau sie wieder fit sei, dass Olympia nicht gefährdet sei. „Die chinesische Teamführung äußerte Zweifel an Rembecks Masterplan“, schreibt Li Na in ihrer Autobiographie „My Life“ von 2012, „Ich entschuldigte mich bei ihm. <…> Die Entscheidung lag jetzt in meinen Händen“. Es kam so wie Rembeck es vorhersah. Es war ihre einzige Chance, so sieht es ihr Münchner Arzt heute in der Rückschau. Jeden zweiten Tag arbeitete der Rehatrainer von Rembecks „Zentrum für Orthopädie“ in der Atos-Klinik in München mit der chinesischen Sonderpatientin gegen die Skepsis der Verbandsführung an, für das große Ziel: Olympia 2008 in Peking. Erich Rembeck forderte „mich immer wieder auf, an mich glauben muss, aber es war das erste Mal, dass ich mich auf so ein Spiel einließ“, schreibt Li Na über ihre anfänglichen Selbstzweifel. Als sie drei Monate nach der Operation in Wimbledon wieder ihr erstes Spiel gewinnt, war das „für mich der Beweis, dass die OP richtig war“. Rembeck hatte Ihr Vertrauen bestätigt. Ihre großen Erfolge hatte sie da noch alle vor sich: Bronze bei Olympia, ihre Grand Slam-Siege in Paris und Melbourne, Platz zwei der Weltrangliste, knapp 17 Mio. US-Dollar Preisgeld, ihr Aufstieg zum Weltstar. Rembeck: „Über die Jahre hat sie trotz der vielen Operation eine sensationelle Entwicklung genommen“.

 

Nach Olympia löst sich Li Na ganz von der Bevormundung ihres Verbandes, der die populäre Heldin widerwillig, aber ohne Sanktionen ziehen lässt. Mit Mitte zwanzig war sie endgültig „richtig selbstständig“, so wie alle ihre westlichen Konkurrentinnen auf der Tour auch. Alle anfallenden Rechnungen für Trainer, Reisen, Physio musste sie von nun an selbst bezahlen, ein Umstand, der ihr nicht von Anfang leicht viel. In vielen Gesprächen machte ihr Rembeck deutlich, dass Weltklassetennis auf harten Böden mit dieser Verletzung ein hochriskantes Vabanque-Spiel ist, von dem man nie wüsste, „wie lange es gut geht“. Die nächste OP am Tag vor Heiligabend 2008 kam nicht gänzlich überraschend. „Li Na hat verstanden, dass ein Weltklasse-Athlet eine Art Dauer-Reha machen muss, um den geforderten Belastungen standzuhalten. Kein Standard-Fitnessprogramm, sondern ein individuelles, auf sich persönlich abgestimmtes Reha-Programm. Wenn Sie das nicht gemacht hätte, wäre schon nach Olympia 2008 Schluss gewesen“. Die zweite OP schweißen den Arzt und die Tennisspielerin noch enger zusammen. Weil die Geschäfte geschlossen haben, besorgt Dr. Rembeck Li Na persönlich etwas zu Essen, handelt ihr ein günstigeres Hotelzimmer aus und weil die Tennisspielerin mit der neuen Freiheit noch etwas überfordert und klamm ist, schenkt er ihr die Kosten für die Operation. Li Na erzählt die Geschichte in ihrem Buch. Sie spricht von der „Art wie er mit mir sprach, wie der Vater zu seiner Tochter“. Sie umschmeichelt ihn mit Adjektiven wie „respektvoll“ und „generös“, als einen „Mann mit Anstand“, der „cool aussah“ in seinem weißen Kittel. Als Begründung dafür, dass er ihr die Operation schenkt, schreibt sie: „Er sagte nur zu mir: Ich hoffe du kannst auf das Schlachtfeld zurückkehren. Da gehörst du hin.“ Schon bald kehrte sie auf den Platz, der ihr Schlachtfeld ist, zurück, doch schon ein dreiviertel Jahr später, im Herbst 2009, folgte eine weitere, die dritte Operation am rechten Knie. Und dazwischen alle sechs Wochen Knorpeltherapie in München. Die Injektionen waren wichtig, um den Knorpel zu schützen und funktionsfähig zu erhalten, auch deshalb wollte Dr. Rembeck seiner inzwischen liebsten Patientin die Spritzen selbst geben. Was zumindest einmal um Haaresbreite nicht geklappt hätte, weil Erich Rembeck 2010 nach dem Ausbruch des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull wegen der Aschewolke nicht rechtzeitig aus dem Urlaub zurück war. Rembeck, so schreibt Li Na, fuhr mit einem Oldtimer-Mercedes 300 SL in zwei Tagen von Malaga nach München, um ihr die eine Spritze persönlich geben zu können. So wie Li Na alle diese persönlichen Erinnerungen über ihren Doc aus München erzählt, merkt man, dass Sie ihm das nie vergessen wird. Li Na schreibt von München als „meinem Hafen“ in dem sie mehr Zeit verbracht habe als irgendwo sonst, sie überlegte sogar ein Haus zu kaufen. Als Superstar Maria Scharapowa zu der Zeit anfragt, ob Rembeck und sein Team sie exklusiv betreuen könnten, sagt Rembeck ab. „Die persönliche Beziehung zu Li Na gab den Ausschlag“, erzählt er. „Nach so vielen Jahren der Hochs und Tiefs gehörte Li Na zu unserer kleinen Familie.“

 

Der Tennis-Reporter der „China Morning Post“ schreibt von einem modernen Sport-Märchen. Wie ein kleines Mädchen aus der chinesischen Provinz, das als Halbwaise erwachsen wird, weil der Vater früh stirbt, mit Hilfe ihres freundlichen Doktors aus Deutschland, der ihr eine OP schenkt, den Aufstieg zum Weltstar schafft, der heute 23 Mio. Freunde bei Facebook zählt. Dieses Märchen ist 2014 zu Ende gegangen. Im Januar gewinnt Li Na in Australien ihren zweiten Grand Slam-Titel, wenig später macht auch das linke Knie erstmals Probleme. Die bekannte Diagnose: schwerer Knorpelschaden. Die Operation im Juli kann den einzigen vernünftigen Schritt, ihren Rücktritt, nicht mehr verhindern. „Wir haben das alles durchgestanden, weil sie ein gesundes Knie hatte“, erklärt Dr. Erich Rembeck im Gespräch. „Aber mit zwei lädierten Knie kannst du nicht mehr Tennis in der Weltspitze spielen. Dann reicht es noch für 80 oder 90 Prozent, aber nicht mehr für 120, die du brauchst. Seit etwa einem Jahr haben wir das Thema Rücktritt diskutiert, es war jetzt der richtige Zeitpunkt“. Li Na’s Rücktritt heißt aber nicht das Ende dieser höchst ungewöhnlichen Arzt-Patienten-Bindung im internationalen Spitzensport. Li Na’s „Dauer-Reha“ in München geht auch nach der aktiven Karriere weiter, jetzt alle drei Monate und nicht mehr alle sechs Wochen. Sie muss nicht mehr kommen, sie will kommen. Li Na ist ein freier Mensch.